05.04.2025
Tom Segev: Jerusalem Ecke Berlin – Erinnerungenn eines Reisenden

Der Autor Tom Segev, am 1. März 1945 im Jerusalem, damals Britisch-Palästina, als Thomas Schwerin geboren, ist ein israelitischer Historiker und Journalist. Er wird der losen Gruppe »Neue Historiker« zugeordnet, die mit einer Neubewertung der Geschichte des Zionismus des Landes Israel begonnen haben. Segevs Eltern, beide Kommunisten und Atheisten, flohen 1933 aus Deutschland und kamen im August 1935 nach Palästina. Sein Vater Heinz Schwerin war Architekt, seine Mutter Ricarda Schwerin (geborene Meltzer) war Fotografin. Sie hatten sich als Studenten im Bauhaus Dessau kennengelernt, wurden wegen kommunistischer Umtriebe der Schule verwiesen. Heinz Schwerin starb 1948 im israelischen Unabhängigkeitskrieg als Kämpfer der Hagana. Nach dem Tod ihres Mannes lebte Ricarda Schwerin mit ihren beiden Kindern in dem von Conrad Schick erbauten Taborhaus. Einer der ersten Untermieter war der Journalist Gabriel Stern, der für Segev eine lebenslange Bezugsperson wurde und der ihn auch auf seinem Weg zum Journalismus beeinflusst hat.

Tom Segev ist einer der besten Kenner Israels. In seinem Vorwort »Jerusalem Ecke Berlin« schreibt er: »Ich hatte gehofft, die Beschäftigung mit seiner Geschichte würde mich in ferne, selbst von Corona unberührte Welten entführen, ganz weit weg. Doch ich irrte mich. Denn Großherzog Friedrich I. von Baden erwies seine Gunst auch der zionistischen Bewegung, und da er ein Onkel von Kaiser Wilhelm II. war, konnte er dem Gründer der Zionistischen Weltorganisation, Theodor Herzl, ein historische – und folgen arme – Begegnung mit dem Kaiser in Jerusalem verschaffen. Wie sie mich verfolgt die zionistische Geschichte. Und mir ist auch keine Zuflucht vor Kaiser Wilhelm persönlich vergönnt.

Wann immer ich den Blick vom Computer hebe, sehe ich über den Zweigen der Jacaranda den hohen Glockenturm neben der Dormitio-Abtei auf den Berg Zion. Kirche und Turm wurden zur Demonstration deutscher imperialer Macht in der Heiligen Stadt erbaut. Nach der lokalen Legende sollte der Turm ein wenig an das Äußere des Kaisers erinnern, die Turmspitze an seinen Helm. Der schmale Balkon um das Obere des Turms könnte ein Anklang an den mächtigen Schnauzer seiner Majestät sein.«

So reflektiert Segev über seine duale Identität. Die Deutschen, der Holocaust, der Zionismus und der Krieg mit den Arabern, so schrieb er, haben seine Leben geformt. So ist in seiner Erinnerungen wie seiner Biografie, auch sehr viel Privates zu entdecken.

Auch von den Ereignissen des 7. Oktober 2023 ist Tom Segev entsetzt, hat aber eine andere Meinung. Was Israel in Gaza gemacht hat, da hat er heute ein großes Schuld- und Schamgefühl. Der Terrorangriff vom 7. Oktober, die Verschleppung von Israelis, die Ermordung in Gefangenschaft, auch die Vertreibung von Israelis rechtfertigt nicht die Massentötung von Zivilisten und die Zerstörung im Gazastreifen. So fühlt sich Tom Segev, wie er schreibt, vor seinem 80. Geburtstag in seiner israelitischen Identität unwohl.
khw


Tom Segev: Jerusalem Ecke Berlin – Erinnerungen
Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama

Pantheon im Penguin Random House Verlagsgruppe, München 2025
415 Seiten - Fotos - 20,00 EUR