04.04.2025
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ERIKA APFELBAUM: MELAS ZWANZIGSTES JAHRHUNDERT
Das Leben und Überleben meiner Mutter
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Die Autorin Erika Apfelbaum wurde 1934 in Kassel geboren, lebt seit 1937 in Frankreich. Von Beruf war sie Sozialpsychologin heute im Ruhestand. Über das Leben ihrer Mutter Mela Apfelbaum hat ein Buch geschrieben. Ein ergreifendes Zeugnis der wechselhaften Geschichte des 20. Jahrhunderts. Die Mutter wurde 1899 in Przemyśl geboren, da gehörte die Stadt zum Kronland Galizien der Habsburgermonarchie. Nach 1918 wurde die Stadt polnisch, im Zweiten Weltkrieg zuerst deutsch, wurde von sowjetischen Truppen besetzt. Wurde nach dem Überfall der Hitler-Wehrmacht auf die Sowjetunion zurückerobert. Im Juli 1944 wurde Przemyśl von der Roten Armee befreit, seit März 1945 wieder polnisch. Den Ersten Weltkrieg erlebte die Mutter als jungen Mädchen in Wien. In den Jahren der Weltwirtschaftskrise zog sie nach Deutschland, sah hier 1933 die Machtübernahme der Nazis, floh schließlich mit Mann und Kind 1937 nach Frankreich. Während sie mit ihrer Tochter Erika die Besetzung des Landes durch Hitler-Deutschland durch einen Zufall überlebte, wird der Ehemann Max 1942 ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert und hier ermordet.
Über die Geschichte der Familie schreibt Erika Apfelbaum: Meine Mutter hat wohl, sicherlich ohne dessen bewusst zu sein, dazu beigetragen, dass die Distanz nie kleiner wurde, weil sie mir die Trauer und die unheilbare Wunde zu ersparen suchte, die ihr der Verlust ihrer Angehörigen ins Herz gebrannt hatte. Mit derselben unbändigen Entschlossenheit, mit der sie während des Krieges unser Überleben sicherte, sorgte sie danach dafür unser materielles Auskommen, und es war ihr gelungen, ihre eigene Lebenslust auf mich zu übertragen und mir damit eine »normale« Jugend zu schenken. Ganz bewusst vermied sie es, sich nostalgisch in der Vergangenheit aufzuhalten, und im Gegensatz zu Loths Frau, die sich nach dem in Flammen stehenden Sodom umdreht, bemühte sich meine Mutter, das Vergangene hinter sich zulassen und vor allem nicht mich damit in Verbindung zu bringen. Nur selten sprach sie von früheren Zeiten, von der Familie, und wenn sie es tat, dann erzählte sie von »deinem Vater«, sondern viel eher von »ihrem Mann«, nicht von »deiner Großmutter«, sondern von »ihrer Mutter«.
Und es war diese Art, mich auf Distanz zu halten, die, auch wenn sie ganz sicher zu meinem Schutz gedacht war, dazu beitrug, die Kluft, und damit das Gefühl fehlender Familienzugehörigkeit, zu vertiefen. Ob aus Mangel an Interesse oder Sorglosigkeit einer Jugendlichen heraus hatte ich an dieser Situation nichts auszusetzen und fragte nicht weiter nach.
Am 16. Juli 1995 bedauerte Jacques Chirac in seiner Rede Frankreichs Rolle und Beteiligung an der Razzia des »Vélodrome d'Hiver«, der Radsport Halle in Paris 1942. Am 16. und 17. Juli führte die französische Polizei Razzien durch. Mehr als 10.000 Juden, darunter auch Kinder, werden festgenommen und in die Vernichtungslager, auch nach Auschwitz deportiert, darunter auch ihr Vater Franz Apfelbaum.
Eine berührende Familiengeschichte.
khw
ERIKA APFELBAUM: MELAS ZWANZIGSTES JAHRHUNDERT
Das Leben und Überleben meiner Mutter
Aus dem Französischen von Veronika Berger
Gedruckt mit Unterstützung der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus Stadt Wien und dem Programm PAP des Institut Français
Mandelbaum Verlag, Wien 2023
144 Seiten - zahlreiche Fotos - 18,00 EUR
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