03,10.2023
STEFAN WEBER: AUF »PLAGIATS-JAGD« – EINE STREITSCHRIFT

Der Kommunikationswissenschaftler Stefan Weber, geboren 1970 in Salzburg, ist als Privatdozent an der Universität Wien tätig. Seit Jahren ist er im deutschsprachigen Raum als »Plagiatsjäger« bekannt und betreibt einen »Blog für wissenschaftliche Redlichkeit«. Seine jüngsten Bücher sind »Radikaler Lingualismus« und »Roboterjournalismus, Chatbots & Co«.

Seit 20 Jahren beschäftigt sich Stefan Weber mit Plagiaten und der Hochschulkorruption. Darüber hat er ein Buch geschrieben. Im Vorwort schreibt Weber: »Als ich als Projektmitarbeiter auf Zeit im Rahmen eines vom österreichischen Forschungsforderungsfonds (FWF) finanzierten Forschungsprojekts an die Salzburger Universität kam. ging ich davon aus, dass man sich über den Zuschlag freuen würde. Ich habe damals, 1998, nicht begriffen, dass das Gegenteil der Fall war. Das Institut hatte zuvor so gut wie kein FWF-Projekt, und die allgemeine Haltung war folglich: Warum der Weber, warum nicht ich/wir? Der Assistent des Professors, auf den der Projektantrag lief, war sofort »eingeschnappt« und nicht mehr gut auf mich zu sprechen. Eine damalige Habilitandin besuchte ich in ihrem Büro und erwartete ein positives Gespräch. Die Stimmung war ab der ersten Silbe nicht mehr locker wie vor dem Projektzuschlag. Sie sagte: »Als ich das mit deinem Projekt erfahren habe, war ich schockiert.«

Was war geschehen? Ich hatte ein FWF-Projekt zur Journalismusforschung bewilligt bekommen, mit systemtheoretischkonstruktivistischem Hintergrund. Die Kollegin wollte ihre Habilitationsschrift ebenfalls auf der Basis von Luhmanns Systemtheorie schreiben. Ich dachte, es gäbe Synergien. Super, wir ziehen in Bezug auf die Theorieauswahl am gleichen Strang! Aber wir waren vom Tag des Erhalts meiner Stelle Konkurrenten, ja Feinde. Die Kollegin erstaunte mich schließlich mit dem Satz: »Jetzt muss ich mein Thema ändern.« Sie ist heute Professorin in der Schweiz, schaffte es bis zur Vizerektorin an einer der größten Universitäten dort.

Das herrschende Gefühl, das mir in den ersten Tagen und Wochen meiner Tätigkeit am Institut entgegengebracht wurde, war der Neid, die Missgunst. Ein Büronachbar warf mir in einer E-Mail »imperiales Gehabe« vor. Und dies, nachdem ich das Büro geputzt, das Regal neu geordnet und einige Pflanzen in mein Büro gestellt hatte. Das war einfach schon zu viel der Veränderung, das sah nach Okkupation, wenn nicht nach dauerhaftem Verbleib aus. - Den Schulterschluss habe ich damals nicht bemerkt. Wie können wir den Verbleib Webers verhindern? Wie können wir verhindern, dass er uns etwas wegnimmt? Wie können wir ihn scheitern sehen?

Ich war damals leicht zu verunsichern. Erst nach eineinhalb Jahren traute ich mich, mein erstes Protestrundmail zu schreiben (es sollten mehrere in den kommenden Jahrzehnten werden). Ich schrieb, dass ich unter einem »Professor für angewandte Wissenschaft« arbeiten musste, »der seinen Computer nicht anwenden kann«. Ich beschwerte mich auch beim Fördergeber FWF, und der zuständige Fachbereichsleiter sagte mir am Telefon, er könne da im Einzelfall nichts machen, solche Beschwerden wie die meine seien »an der Tagesordnung«.

Neben der mit dem Peter-Prinzip verwandten Hypothese »Schlechte stellen noch Schlechtere an« gibt es eine zweite Beobachtung, die mich an den Universitäten seit Langem verunsichert. Diese Hypothese ist verwandt mit dem Matthäus-Effekt (»Wem gegeben wird, dem wird noch mehr gegeben.«). Sie lautet: »Milde Professoren ziehen mittelmäßige bis schlechte Studierende an, wodurch diese Professoren noch milder werden.« Ich habe an den Universitäten wiederholt diese Tendenz erlebt: Tatsächlich intellektuelle Professoren, die viel verlangen, unterrichten vor fast leeren Hörsälen. Jene Professoren, die wenig verlangen, am Schluss Multiple-Choice-Tests machen und diese vielleicht auch noch maschinell auswerten lassen, haben full house. Wer viele Diplomanden und Dissertanten hat, bekommt noch mehr Diplomanden und Dissertanten. Ich vermute als Ursache, dass es sich herumspricht, dass man bei diesem Kollegen leichter durchkommt. Somit setzt sich eine weitere Abwärtsspirale in Gang: Je mehr Studierende der bereits milde gestimmte Professor hat, desto weniger genau kann und wird er kontrollieren. Was schlicht zur Folge hat, dass er noch milder wird. Ein Teufelskreis. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, dass ich frisch berufene Professoren erlebt habe, die besonders milde Noten vergaben, um sich erst einmal in der Studentenschaft beliebt zu machen und auch den Kollegen zu zeigen: Mit mir gibt es keinen Ärger.“ – Lesenswert
khw


STEFAN WEBER: AUF »PLAGIATS-JAGD« – EINE STREITSCHRIFT

EDITION ATELIER, Wien 2023
216 Seiten - Klappborschur -20,00 EUR