12.09.2023
Günter Grass: Figurenstehen – Eine Legende
Eine unbekannte, späte Erzählung von Günter Grass

Günter Grass, 1927 in Danzig geboren, war Schriftsteller, Bildhauer und Grafiker. 1999 wurde er mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet. Bis kurz vor seinem Tod am 13.April 2015 arbeitete Grass noch an seinem Buch Vonne Endlichkait, das im August 2015 veröffentlicht wurde. Bei Steidl erschien 2020 mit der Neuen Göttinger Ausgabe die Referenzausgabe des lyrischen, dramatischen, epischen und essayistischen Werks.

Ende der 1980er Jahre auf Lesereise in der DDR, findet er die schöne Frau des Mittelalters Uta von Naumburg zusammen mit elf weiteren Stifterfiguren an dem Dom der Stadt Naumburg. Und weil auf dem Papier alles möglich ist, bittet er alle, nach deren Abbild der Künstler im 13. Jahrhundert die lebensechten Skulpturen geschaffen hat, in seinem Garten zu Tisch. Die Tochter des Goldschmieds, die für Uta Modell stand, hat es ihn besonders angetan. In einem gewagten Zeitsprung steht sie in der Gegenwart für ihren Lebensunterhalt auf Plätzen in Köln, Mailand oder Frankfurt »Figuren«. So sehr verfällt ihr der Erzähler, dass er überall nach ihr Ausschau hält und sich schließlich sogar für einen verhängnisvollen Botengang einspannen lässt.

Die Erzählung, zunächst als Kapitel für Beim Häuten der Zwiebel konzipiert, wurde kürzlich von Grass' langjähriger Mitarbeiterin Hilke Ohsoling im Archiv entdeckt – allerdings nicht einfach in einer verstauben Schublade.

Zum literarischen Fundstück heißt es im Anhang der editorischen Notiz:

»Figurenstehen« entwickelte Günter Grass im »Vogterhus«, seinem über viele Jahre gemieteten Ferienhaus auf der dänischen Insel Møn. Am 5. August 2003 entstand dort eine erste Fassung, die er mit der Hand auf Einzelblätter schrieb. Diese Fassung hob er in der Behlendorfer Werkstatt zwischen Gedichtmanuskripten auf, bis er sie seinem Lübecker Sekretariat übergab. Noch am Tag der ersten Niederschrift begann Grass - obenan eine Zeichnung von drei figurenstehenden Frauen (hier S. 5) -, eine weiter ausgearbeitete Fassung in einen Manuskriptband zu schreiben (dieser Band gehört heute zur Sammlung des Lübecker Günter-Grass-Hauses). Er schließt sie am 13. August 2003 ab. Etwa ein Viertel des Textes hat Günter Grass mit seiner Olivetti-Reiseschreibmaschine in eine undatierte dritte Fassung gebracht. Das letzte Blatt dieses Typoskripts legte er in den gebundenen Manuskriptband, so als wolle er sich selbst daran erinnern, später weiter daran zu arbeiten.
Empfehlenswert.
khw


Günter Grass: Figurenstehen
Mit Zeichnungen von Günter Grass

Steidl Verlag – Göttingen 2022 /
Günter und Ute Grass Stiftung, Lübeck
72 Seiten – Hardcover – 18,00 EUR