09.09.2023
Dorothy Thompson: ICH TRAF HITLER!

Die Autorin Dorothy Thompson wurde am 9. Juli 1893 in Lancaster/New York geboren, starb am 30. Januar 1961 in Lissabon, war eine Journalistin und Gründerin der Weltorganisation der Mütter aller Nationen“ (W.O.M.A.N.). Die Tochter eines britischen Methodistenpredigers Peter Thompson, besuchte 1911 das Lewis Institut in Chicago, studierte an der Syracuse University in New York und Wien. In diesen Jahren war sie eine leidenschaftliche Verfechterin des Frauenwahlrechts. Im Jahr 1914 erwarb sie den akademischen Grad eines Bachelor of Art, dann arbeitet sie einige Jahre in New York. Anfang der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts ging sie als Korrespondentin für den The New York Evening Post anfangs nach Wien, hier traf sie John Gunther und G.E.R. Gedye. Dann ging sie 1924 nach Berlin, hier erlebte sie den Aufstieg der NSDAP. Neben Ödön von Horváth lernte sie Thomas Mann, Bertolt Brecht, Stefan Zweig und Fritz Kortner kennen. Mit Carl Zuckmayer verband sie eine enge Freundschaft. Die Sowjetunion besuchte sie 1928 und schrieb das Buch „The New Russia“. Im Frühjahr 1932 interviewte sie Adolf Hitler im Hotel Kaiserhof in Berlin. Das Interview war sehr schwierig, Hilter sprach so, als redet er zu den Massen. Diese Begegnung schrieb sie für Zeitungen und ihr Buch “I saw Hitler“ / Ich traf Hitler). Sie bezeichnete diesen Mann als „Prototypen des kleinen Mannes“ und von „erschreckender Bedeutungslosigkeit“. Ihr Resümee – Hitler werde nicht an die Macht kommen. Am 25. August 1934 musste Dorothy Thomson Deutschland innerhalb von 24 Stunden verlassen. Sie war die erste Auslandskorrespondentin, die Deutschland verlassen musste. Mit Christa Winsloe ging sie zurück in die Staaten und hielt warnende Vorträge, auch im Radio, von Hitler. Mit der Ehefrau des US-Präsidenten Eleanor Roosevelt befreundet, konnte sie deutschen Emigranten Fritz Kortner, Thomas Mann und Carl Zuckmayer bei ihrer Einbürgerung helfen.

In den Jahren 1936 bis 1941 hatte Thomson die Kolumne „On the Record“ in der New York Herald Tribune.

Unmittelbar nach Kriegsende kritisierte sie die Nürnberger Prozesse, da dieselbe Seite zugleich Richter, Ankläger und Vollstrecker des Urteils ist. Vor der dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hielt sie eine Rede im Namen aller Frauen und Mütter. Das ist auch die Geburtsstunde der World Organization
of Mothers all Nations.
Dorothy Thomson war dreimal verheiratet, von 1923 bis 1927 mit dem Ungarischen Journalisten Joseph Bad, von 1928 bis 1942 mit dem Schriftsteller Sinclair Lewis und dann 1943 mit dem tschechischen Maler und Bildhauer Maxim Knopf.

Dorothy Thompson traf Hitler im Dezember 1931 in Berlin, brachte im Frühjahr1932 den illustrierten Reportage- Essay heraus, der nun erstmalig in Deutsch vorliegt. Lesenswert wie sie ihr Warten und die Begegnung mit Hitler beschreibt: «Ich war ein wenig nervös. Ich überlegte, Riechsalz zu nehmen.

Und Hitler verspätete sich um eine Stunde. Während ich im oberen Foyer des Hotels Kaiserhof wartete, sah ich ihn vorbeistürmen, auf dem Weg zu seinen Zimmern, von einem Leibwächter begleitet, der fast wie Al Capone aussah. Minuten vergehen. Eine halbe Stunde. Ich gehe hinüber in das Zimmer des Pressechefs: Ernst Hanfstaengl, Sohn der Dame aus Murnau, Harvard-Absolvent, bei seinen Kommilitonen berühmt für sein Klavierspiel und seine Marotten. Penibel. Amüsant. Die merkwürdigste Wahl für den Pressechef eines Diktators, die man sich vorstellen konnte.

Ich wartete in Dr. Hanfstaengls Zimmer. Ein italienischer Journalist war vor mir dran. Kein Wunder. Hitler, der die Macht ergreifen will, hat schon ein außenpolitisches Ziel: eine Deutsch-Englisch-Italienische Allianz zu bilden, um die französische Vormacht auf dem Kontinent zu brechen. Ich warte. Amerika ist nur ein Kreditgeber, eine der schwächsten Positionen, in der sich eine Nation in der heutigen Welt befinden kann.

Als ich schließlich Adolf Hitlers Salon im Hotel Kaiserhof betrat, war ich der festen Überzeugung, dem künftigen Diktator von Deutschland zu begegnen. Keine fünfzig Sekunden später war ich mir ziemlich sicher, dass dies nicht der Fall war. Es brauchte nur ungefähr diese Zeit, um die verblüffende Bedeutungslosigkeit dieses Mannes zu ermessen, der die Welt in Atem hielt. – Lesenswert – auch wegen der historischen Fotos.
khw


Dorothy Thomson: ICH TRAF HITLER!

DVB Verlag, Wien 2023
267 Seiten – zahlreiche Fotos – 26,00 EUR