25.04.2020
COVID-19 in Spanien


Der Chefredakteur der Neuen Zürcher Zeitung, Eric Gujer, titelte zehn Tage nach Ostern: »Bitte keinen Seuchen-Sozialismus«. Weiter schreibt das Blatt des Kapitals: »Erst nahmen die Infektionen exponentiell zu, dann wuchs die Staatsgläubigkeit in absurder Weise. Immer mehr Milliardenhilfen, immer mehr Versprechungen der Politik. Es wird Zeit, sich auf die eigene Verantwortung zu besinnen.« Aber wie soll das bei einer Pandemie gehen?

Pedro Sánchez verlängert erneut am 22. April den Ausnahmezustand von Spanien bis am 9. Mai. Für die Verlängerung stimmten im Parlament 269 Abgeordnete von der Partido Socialista Obrero Español (PSOE), Partido Popular (PP), Ciudadanos und der Partido Nacionalista Vasco (PNV). Sechzig Abgeordnete von VOX und den katalanischen Parteien JxCat und CUP stimmten gegen die Verlängerung. Die 16 Abgeordnete von Esquerra Republicana de Catalunya (ERC) und der Linkspartei der Basken, Bildu enthielten sich ihrer Stimmen.

Nach den neuesten Daten dürfte die Zahl der Infizierten dreimal so hoch sein wie ausgewiesen, dazu kommen tausende von Sanitäter, Krankenschwestern und Ärzten die infiziert sind. Offiziell werden am Abend des 22. April genannt: Infizierte 208389 und 21717 gestorben. Endlich dürfen die Kinder bis zu zwölf Jahren erstmals nach fünf Wochen am 27. April wieder nach draußen. Verboten ist weiter der Besuch von Parks und Spielplätzen.

Während in einigen Ländern in Europa erste Lockerungen der Anti-Corona-Maßnahmen einleiten, wird Spanien an seinen mehr als drastischen Ausgangssperren bis zum 9. Mai festhalten. Mit seinen Zahlen der Covid-19 Erkrankten, nimmt Spanien den traurigen Spitzenplatz in Europa ein, mit den Toten hat es den traurigen zweiten Rang hinter Italien. So kündigte Ministerpräsident Pedro Sánchez an, dass der Ausnahmezustand der am 26. April geendet hätte, mindestens bis zum 9. Mai verlängert werden soll. Die Begründung von Sánchez: »Die Fortschritte im Kampf gegen das Corona-Virus reichen nicht aus, sie sind noch zu zerbrechlich.«

Auch muss sich Sánchez vorwerfen lassen, dass beim spanischen Krisenmanagement einiges schiefgelaufen ist. Nicht alles ist zentralistisch gelaufen. Das Problem war eher, dass viele Regionen, darunter Madrid und Katalonien, nicht gut aufgestellt waren, als die Pandemie begann. Auch musste sich das Klinikpersonal und die Ärzte von Anfang an mit dem Problem unzureichender Schutzkleidung herumschlagen. Noch immer fehlt es an einigen Orten an Gesichtsmasken und Schutzmasken. Erst vor einigen Tagen musste das Gesundheitsministerium eine Rückrufaktion von 350.000 fehlerhaften Masken einleiten. Die spanischen Gewerkschaften, Comisiones Obreras (CCOO) und der Unión General de Trabajadores (UGT) fordern, dass die Personen, die mit durchlässigen Masken gearbeitet haben sich einem Test unterziehen müssen.

Portugal trotzt dem Virus besser als der große Nachbar Spanien. Die Grenzen zu Spanien hatte Portugal schon vorher dichtgemacht. Schulen, Bars und Diskotheken geschlossen. Eine Ausgangssperre gibt es bis heute keine. Trotz den zunächst geringen Fallzahlen hielten sich die Portugiesen von Anfang an strikt an die Vorgaben der Regierung. Auch die schnelle Eskalation in Spanien dürfte ein Grund dafür sein. Anders als in Spanien gab es in Portugal keine politisch motivierten Debatten - die Opposition unterstützte die linke Minderheitsregierung von Anfang an. Portugal fiel auch durch ein Dekret auf, das Ende März allen Migranten, die eine Aufenthaltsbewilligung beantragt hatten, Bleiberecht und insbesondere auch einen Anspruch auf Gesundheits- und Sozialversicherung gewährte. Dadurch sollte unter anderem verhindert werden, dass sich das Virus unter illegal Eingewanderten verbreitete. Vielleicht ist sich die Bevölkerung Portugals auch der Verwundbarkeit ihres Gesundheitssystems bewusst. Nach den neuesten vergleichbaren Daten hat das Land von allen Staaten der EU pro Kopf am wenigsten Intensivpflegebetten.

Die Linksregierung Portugals hat angekündigt, alles zu tun, um die Rezession abzuschwächen. Doch ihr Handlungsspielraum ist begrenzt. Das nach der Finanzkrise mühsam verringerte Defizit beträgt immer noch 120 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung und gehört zu den höchsten im Euro-Raum.

Es dauerte fast eineinhalb Monate, bis Ministerpräsident Pedro Sánchez und der Oppositionsführer Pablo Casado von der Partido Popular (PP) auf einer Videokonferenz trafen. Es hatte über Wochen eine Funkstille zwischen Sánchez und Casado geherrscht. Die oppositionelle PP attackierte seit Wochen die Regierung in Madrid, als wäre es immer noch Wahlkampf. In keinem anderen europäischen Land sind die Politiker im Kampf gegen das Coronavirus so zerstritten wie in Spanien. Sánchez hielt Kontakt zu den Bürgern mit Pressekonferenzen und Erklärungen im spanischen TV 1.

Vor zwei Wochen gelang Sánchez ein großer Wurf. Mit neuen „Moncloa-Pakten“ (benannt nach dem Sitz der Regierung in Madrid) fordert er Politiker, Unternehmer und Gewerkschaften auf, so schnell wie möglich Verhandlungen über ein „Abkommen für den wirtschaftlichen und sozialen Wiederaufbau Spaniens“ nach dem Vorbild von 1977 zu beginnen. Seine Rivalen von PP, Ciudadanos und VOX witterten dahinter den Versuch der Linkskoalition, die Schuld an ihrem Versagen auf viele Schultern zu verteilen. Federführend ist dabei die konservative Zeitung „El Mundo“, sie warnte bereits Casado davor, Sánchez einen „Blankoscheck“ auszustellen. Das ist nicht nötig, die PP hält die neuen „Moncloa-Pakte“ für unnötig.

Um mit der PP ins Gespräch zu kommen, muss Sánchez seinen „nationalen Tisch für den Wiederaufbau“ aufgeben, an dem auch außerparlamentarische Vertreter Platz nehmen sollen. Die PP befürchtet, dort von der Regierung und ihren Partnern an den Rand gedrängt zu werden. Auch ist die PP gegen das Mindesteinkommen, das die Regierung so bald wie möglich einführen will. Damit soll bis zu einer Million besonders bedürftigen Familien geholfen werden. Nach der spanischen Zentralbank wird die Wirtschaftsleistung um dreizehn Prozent zurückgehen, die Arbeitslosenquote auf 22 Prozent wieder ansteigt.

Im spanischen Parlament engt die Rechtspartei VOX den Verhandlungsspielraum von PP ein und Ciudadanos ein. Nun reichte VOX eine Klage gegen Sánchez und Mitglieder der Regierung ein. Die Rechtspartei wirft der Sánchez-Regierung grobe Fahrlässigkeit vor, die den Tod von vielen tausend Spaniern zur Folge gehabt habe. Eine weitere VOX-Klage ist gegen den Chef des Generalstabs der Guardia Civil, José Manuel Santiago. In einer Pressekonferenz sagte er, zu den Aufgaben seiner Polizeikräfte gehöre es, „das Klima, das sich gegen die Krisenbewältigung durch die Regierung richtet, zu minimieren“. Das war auch für der PP zu viel, sie kritisierte die Aussage da es klingt, als versuchten Sicherheitskräfte, Kritik an der Arbeit der Regierung zu verhindern.
khw

Ministerpräsident Pedro Sánchez (PSOE)


Stellvertretender Ministerpräsident Pablo Iglesias (UNIDAS PODEMOS)


Auf der Intensiv-Station