06.09.2019
Emmerich Tálos (Hg.): DIE SCHWARZ-BLAUE WENDE IN ÖSTERREICH - EINE BILANZ

In dem Vorwort zur «Schwarz-Blaue Wende in Österreich» schreibt der emeritierte Professor für Politikwissenschaft Emmerich Tálos: «Die Wahlen vom Herbst 1999 brachten ein unerwartetes Ergebnis und veränderten merkbar die politischen Kräfteverhältnisse in Österreich: Die langjährig regierenden Koalitionsparteien SPÖ und ÖVP hatten in beträchtlichem Ausmaß Stimmen eingebüßt. Die ÖVP mehr noch als die SPÖ. Beide erzielten ihr bis dahin schlechtestes Wahlergebnis bei Nationalratswahlen seit 1945. Die SPÖ blieb noch stimmenstärkste Partei. Während die ÖVP erstmals in ihrer Geschichte nur den dritten Rang erreichte, wurde die FPÖ zum ersten Mal bei Nationalratswahlen nach Stimmenanzahl zur zweitstärksten Partei.

Im Februar 2000 erfolgte die Bildung einer Koalitionsregierung zwischen ÖVP und FPÖ, die die vorangegangene langjährige Große Koalition zwischen SPÖ und ÖVP (1987-1999) ablöste. Die Sozialdemokratie übernahm nach drei Jahrzehnten durchgängiger Regierungsbeteiligung, davon annähernd die Hälfte in Form einer Alleinregierung, unfreiwillig die ungewohnte Rolle einer Oppositionspartei.

Der vorzeitigen Beendigung dieser Koalition folgte im Jahr 2003 deren Neuauflage - ohne vergleichbare Konflikte sowie mit einer beträchtlichen Verschiebung der innerkoalitionären Machtverhältnisse zugunsten der ÖVP.

Mehr als 10 Jahre nach Ende der Regierung Schüssel (2006) kam es erneut zur Bildung einer schwarz-blauen Koalition. Im Unterschied zu 1999 erreichte die unter dem neuen Obmann als „Liste Sebastian Kurz - die neue Volkspartei“ angetretene ÖVP bei der Nationalratswahl am 15. Oktober 2017 den ersten Platz, die FPÖ den dritten. Die dezidierte Ablehnung einer neuerlichen SPÖ/ÖVP-Koalition und die im Wahlkampf unübersehbaren inhaltlichen Gemeinsamkeiten zwischen ÖVP und FPÖ bildeten die Basis für die Koalition unter dem Führungsduo Kurz und Strache. Diese wurde ebenso wie die Regierung Schüssel vorzeitig im Mai 2019 aufgelöst, nachdem Vizekanzler Strache wegen eines ihn schwer belastenden Videos zurücktrat und Kanzler Kurz sich für Neuwahlen entschied. Die nach Ausscheiden der FPÖ aus der Koalitionsregierung etablierte ÖVP-Übergangsregierung war nur von kurzer Dauer: Der von der SPÖ am 27.Mai 2019 gegen die gesamte Regierung Kurz eingebrachte Misstrauensantrag wurde auch von den Abgeordneten der FPÖ und Liste JETZT unterstützt.»

Es ist das erste Mal, dass ÖVP-FPÖ-Koalitionsregierung aus Sicht der Politikwissenschaft betrachten wird. Da sind einmal die Akteure, zum Anderem die Gestalter der Politik, das von Medienpolitik, Etatfragen, Privatisierungen, Sozial- und Familienpolitik bis zur Problem mit der EU.

In der Bilanz stellt Emmerich Tálos fest: «In der Regierungsprogrammatik und Regierungspraxis wurde die Position der FPÖ übernommen und von der ÖVP mitgetragen. Spaltungs- und Ausgrenzungspolitik zeigen sich an Maßnahmen in der Staatsbürgerschaftspolitik (betreffend Aufenthaltserfordernis), der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik (hinsichtlich des Zugangs zu Arbeitsmarkt und Sozialleistungen wie auch des Leistungsniveaus), an der verschärften Asylpolitik (Schlechterstellung in den Verfahren, der Versorgung und Rechtssicherheit) oder diesbezüglicher Vorhaben (Einführung einer „Sicherungshaft“ ). Ausdruck für diesen restriktiven Kurs in der Asylpolitik ist auch die Umbenennung der bisherigen „Erstaufnahmezentren“ für Asylwerber in „Ausreisezentren“ mit strengen Anwesenheitsregeln.

Unter der schwarz/türkis-blauen Regierung hat sich Österreich auf EU-Ebene als migrationspolitischer Hardliner positioniert und zum einen eine deutliche Abkehr von der traditionellen Orientierung an den westeuropäischen Nachbarn, zum anderen eine Annäherung an die Positionen Visegrád-Staaten vollzogen.»

Durch die beiden schwarz-blauen Regierungen veränderte sich das politische System Österreichs auf allen Ebenen.
Die nächsten Wahlen für das Parlament stehen am 29. September an. Der alte/neue Kanzlerkandidat der ÖVP Sebastian Kurz will nach der Wahl wieder sein Glück mit der FPÖ versuchen.
khw


Emmerich Tálos (Hg.):
DIE SCHWARZ-BLAUE WENDE IN ÖSTERREICH - EINE BILANZ

Verlag LIT Verlag, Münster 2019
470 Seiten - 29,80 EUR
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