16.08.2019
DAS ROTE WIEN 1919-1934 – IDEEN – DEBATTEN – PRAXIS

Im MUSA – Museum auf Abruf – unweit des Wiener Rathauses wird bis zum 19. Januar 2020 die Ausstellung «DAS ROTE WIEN» bei freiem Eintritt gezeigt. Vom frühen Gärtnerglück der Siedlungsbewegung bis hin zu proletarischen Wohnpalästen, von Karl-Marx-Hof und dem Karl-Seitz-Hof, spannt sich ein mächtiger Bogen von sozialdemokratischer Geschichte in Wien in der Ausstellung. Das «Rote Wien» gilt bis heute sozialpolitisch als Vorbild. Das ging 1934 unter, da kämpfte die Sozialdemokratie - verschwiegen werden die Kommunisten - an zwei Fronten: gegen den Austrofaschismus, der zur Errichtung des Ständestaates führte, gegen die NSDAP, deren Anziehungskraft die SPÖ lange unterschätzte. Die Landtags- und Gemeinderatswahl in Wien am 24. April 1932 waren die letzten Wahlen im Bundesland Wien in der ersten Österreichischen Republik. Mit 66 Mandaten erreichte die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) mit 66 Stimmen in dem auf 100 Mandate reduzierten Gemeinderat die absolute Mehrheit. Die Christlich-Soziale Partei kam mit Verlusten mit 19 Mandaten, auf den zweiten Platz. Die NSDAP erzielte bei der Wahl 15 Mandate. Für die KPÖ stimmten 21. 813 Wiener, blieb aber ohne ein Mandat.

Mit dem Wahlsieg der Wiener Sozialdemokratie bei den Gemeinderatswahlen im Mai 1919 beginnt wohl eine einzigartige Ära. Mit der absoluten Mehrheit begann sie, die Stadt zu regieren. Mit Ausnahme der zwölf Jahre Austrofaschismus und Nationalsozialismus macht sie das bis heute.

Die Kernzeit des «Roten Wien» liegt zwischen 1919 und 1934, und ihr widmet sich die Ausstellung. Da im MUSA Ausweichquartier wenig Ausstellungsfläche, beschränken sich die Kuratoren – Elke Widikal, Werner Michael Schwarz und Georg Spitaler – auf einige zentrale Themen. Dazu zählen neben dem Wiener Klassiker dem kommunalen Wohnungsbau, die Bildung, die Frauenpolitik, ein Kunstverständnis auch die Emigration.
Erst in den 70er begannen sich die Forschung, auch die Museen wieder für das Thema das «Rote Wien» zu interessieren. Bücher über diese Jahre schrieben Historiker in den USA. Es waren Kinder, deren Eltern zwischen 1934 und 1938 flüchten. Über ihre eigene Biografie hatten sie ein Interesse an dem Thema Wien. Eine Gruppe um Sigfried Matti, Wolfgang Maderthaner, Helene Maimann, Alfred Pfoser und weitere begangen sich für das Thema wieder zu beschäftigen aber in einer kritischen Weise. Georg Spitaler: «Sie untersuchten die Vergangenheit im Hinblick auf die Gegenwart, die war bestimmt von der Ära Kreisky. Die Kritik bezog sich auf bestimmte Aspekte, deren Wurzeln sie im Roten Wien sahen: Etwa den vorherrschenden Paternalismus oder die Tendenz, dass alles „von oben“ bestimmt wird und mit Zwang verbunden ist. »

Bis heute ist der kommunale Wohnungsbau ein Vorbild, auch wenn sich die Perspektiven ein verschoben haben. Die Kuratorin Elke Wikidal: «So weist man in Deutschland und anderswo in Europa immer wieder auf das Vorbild des Roten Wien zum Thema kommunaler Wohnungsbau hin.»

Die Ausstellung «DAS ROTE WIEN» ist kein Versuch der Selbstpräsentation von Wien. Kurator Spitaler:« Wir haben uns auf die Suche nach privaten Erinnerungen gemacht, das war gar nicht so leicht, etwas zu finden. Auf jedem zweiten Dachboden finden sich irgendwelche Nazi-Devotionalien. Aber keine Relikte des Roten Wien, und wenn dann bei Emigranten.» Dazu zählt die Skulptur des Bildhauers Anton Hanak. Sie stammt auch dem Nachlass von Julius Tandler. Der Wohlfahrtstadtrat des Roten Wien starb 1936 in Moskau, seine Witwe konnte in die USA fliehen und einige Dinge mitnehmen, darunter auch die Skulptur von Anton Hanak mit dem Titel: «Eine Mutter mit zwei Kindern». Sie bereichert die Ausstellung.

Im Vorwort zum Katalog schreibt Kulturwissenschaftler Matti Bunzl: «Beim Roten Wien ist es anders. Sein Gegenentwurf zu jahrhundertelang gewachsen Machtstrukturen war zu markant, politisch wie ästhetisch, um es als reinen Ausbund der Stadtgeschichte zu verstehen. Seine Gebäude sind formal kenntlich, gleichermaßen architektonisches wie ideologisches Programm. Dieses kann in der Ausstellung nachgezeichnet werden. Wirklich nachvollziehen kann man es aber nur in situ: in den Gemeindebauten mit modernen Ansätzen zu Versorgung und Hygiene, in den Schwimmbädern für die körperliche Ertüchtigung des «Neuen Menschen» und den Büchereien, die aus unterdrückten Arbeitern und Arbeiterrinnen stolze Kulturmenschen machen sollten.»
khw


DAS ROTE WIEN 1919 - 1934

bis zum 19. Januar 2020 im Museum auf Abruf
Felderstraße 1010 Wien - täglich geöffnet

Der umfangreiche Katalog zur Ausstellung - 470 Seiten -
Birkhäuser Verlag GmbH
Basel - Postfach 44 - CH 4009 Basel, 39,00 EUR