16.08.2023
Ausstellung in der Wienbibliothek bis 16. Februar 2024




In einer gemeinsamen Ausstellung der Wienbibliothek und dem Wien Museum im Wiener Rathaus wird der Zerstörung der Demokratie in Österreich nachgespürt wie erinnert. Anders als oft dargestellt, sind die Februar-Kämpfe nicht der Anfang, sondern das Ende des Zerstörungskampfes. Die an dem Projekt beteiligten Historiker für der Ausstellung und dem gleichnamigen Buch schreiben hier: „Diese Zerstörung der Demokratie war kein Zufall, sie war ein bewusster Akt und minutiös geplant“.

Die Ausstellung im Wiener Rathaus erzählt die Vorgänge in den Jahren 1933 und 1934 vor allem anhand der Beteiligten, ihrer Biografien. Es werden Personen vorgestellt, die entweder an der Zerstörung beteiligt oder von dieser betroffen waren. Nur ein Teil der vorgestellten waren Jüdinnen oder Juden, die auf Seite der Bekämpften standen, hier aber nicht nur.

Durch die Weltwirtschaftskrise von 1929, die eine bisher nie bekannte Massenarbeitslosigkeit mitbrachte, waren die demokratischen Parteien und Verbände bereits zermürbt. Der Putsch der rechten paramilitärischen Heimwehren unter Walter Pfrimer scheiterte im September 1931 in Österreich. Aber die rechten Kräfte hatten bereits Aufwind.

Eine Zeitleiste in der Ausstellung der Einschränkungen führt dem Besucher vor, warum die Februarkämpfe 1934 der Schlusspunkt und nicht der Anfang waren. Es beginnt im März 1933 mit von „Vorzensur“ und Einschränkung des Versammlungsrechts; die Regierung verhindert das Zusammentreten des Nationalrats; Verbot des Republikanischen Schutzbundes. Im Mai „Spaziergänge“ der SPÖ und der KPÖ anstelle der verbotenen 1. Mai Aufmärsche; Ausschaltung des Verfassungsgerichtshofes; Verbot der KPÖ. Juni 1933: Auflösung des Freidenkerbundes; Verbot der NSDAP. Am 20. August 1933: Treffen von Engelbert Dollfuß mit Benito Mussolini in Riccione. Im September 1933: Allgemeiner Deutscher Katholikentag in Wien; Engelbert Dollfuß skizziert in der Trabrennplatzrede seine austrofaschistische Programmatik. Im November 1933: Verhängung des Standrechts und der Wiedereinführung der Todesstrafe. Im Februar 1934: Letzte Sitzung des Wiener Gemeinderats; bis zum 15. Februar 1934: Bürgerkrieg; Verbot der SPÖ und ihrer Organisationen.

Gegen das Regieren mit Notverordnungen kursierten kleine Handzettel in Wien mit „Diese Notverordnung brauchen wir!" § 1. - Die Regierung Dollfuß hat schleunigst zu verschwinden. - § 2. Das Parlament ist sofort einzuberufen.
- § 3. Es hat gleich am ersten Sitzungstage das von den Sozialdemokraten vorgeschlagene Arbeitsbeschaffungsprogramm zu beschließen! Das zeigt, wie die Stimmung in Wien und Österreich war.

Engelbert Dollfuß, der seine politische Karriere zunächst als Christlich-Sozialer 1931 als Landwirtschaftsminister begann, später dann Kanzler wurde, hat die Einführung des Faschismus in Österreich auch international erfolgreich als „Kampf gegen den Antisemitismus“ vermarktet. Alle Notverordnungen richteten sich gegen die Grund- und Freiheitsrechte, auch gegen das Rote Wien.

Das Geschichtsbild von Engelbert Dollfuß von heute betrachtet, erscheint mehr als bizarr. Vom Inhalt her war es ein Generalangriff auf alles Moderne, mit einer Abkehr von religiösen Weltbildern hin zum Bodenständigen aus deutsch und christlich, dem gegenüber standen in seiner Gedankenwelt die Linke, der jüdische Geist und die Freimaurer. Seine Reizthemen waren die Rolle der Frau und die Sexualität.

Die Kirche verlor Einfluss, die Christlich-Sozialen in Wien hatten bei der Gemeinderatswahl 1932 große Verluste hinnehmen müssen, 16,3 Prozent zugunsten der NSDAP, die 17,4 Prozent bekam. Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei erhielt 59 Prozent. Es hätte wohl zwischen den Christlich-Sozialen und den Sozialdemokraten eine Mehrheit gegeben, doch waren die ideologischen Gräben zwischen den beiden Parteien unüberwindbar.

Der Bundeskanzler Engelbert Dollfuß, der ab 5. März 1933 über Österreich diktatorisch regierte, wurde am 25. Juli 1934 von einem seit längeren vorbereiteten Putsch von Nationalsozialisten im Bundeskanzleramt ermordet. Der Justizminister Kurt Schuschnigg, der den austrofaschistischen Ständestaat mit konzipierte, war vom 29. Juli 1934 bis zum 11. März 1938 der diktatorisch regierende Bundeskanzler, der ab 1936 die österreichische „Einheitspartei Vaterländische Front“ führte. Der „Anschluss Österreichs“ wurde am 13. März 1938 im Gleichklang in Berlin und Wien, hier Seyß-Inquart als neues Staatsoberhaupt und Bundeskanzler, unterschrieben.

Schuschnigg wurde verhaftet, kam als Häftling mit Prominentenstatus in die Konzentrationslager Dachau, Flossenbürg, ab 1941 Sachsenhausen. Im Frühjahr ins KZ Dachau verlegt, wurde am 26. April 1945 mit einem Autobus ins Südtiroler Nierendorf gebracht, hier von Amerikanern befreit. Später ging er in die USA, bekam 1956 die US-Staatsbürgerschaft, lehrte bis 1967 an der Jesuitenhochschule in Saint Louis als Professor Staats- und Politikwissenschaft. Zurück nach Österreich kam er 1968, lebte von einer „staatlichen Politikerpension“ in Mutters in Tirol, wo er am 18. November 1977 starb.
khw


Die Ausstellung DIE ZERSTÖRUNG DER DEMOKRATIE bis zum 16. Februar 2024 im Wiener Rathaus, nahe der Wienerbibliothek

Der Katalog zur Ausstellung – herausgegeben von Bernard Hachleitner, Alfred Pfoser, Katharina Prager und Werner Michael Schwarz – reich illustriert, Farbe u. sw – 327 Seiten – Residenz Verlag Salzburg – Wien, 2023
– 35,00 €

www.residenzverlag.com

Kanzler
Engelbert Dollfuß


Bürgerkrieg in Wien


Katalog über die Ausstellung